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Die Welt neu erschaffen - Niemand zurücklassen
Eine Erklärung der Bahá'í International Community zur 63. Tagung der Kommission zum Status der Frau
Auf einer Ebene kann Sozialschutz als eine Reihe von Strategien und Programmen zur Verringerung von Armut und Verletzlichkeit verstanden werden. Ein Thema, das so wichtig ist wie die Bereitstellung von sozialem Schutz für alle, insbesondere für die am stärksten gefährdeten Personen, von denen die meisten Frauen und Kinder sind, muss im Lichte einer größeren Wahrheit betrachtet werden: dass die gesamte Menschheit eins ist und die gesamte Menschheit von den reichen Ressourcen unserer gemeinsamen Heimat profitieren muss. Dass alle Menschen das Recht haben, ein Leben in Würde zu führen, mit der Möglichkeit, eine qualitativ hochwertige Ausbildung zu erhalten, Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erhalten, ihre spirituellen Werte zu praktizieren und ihren Beitrag zum Wohl ihrer Gemeinschaften zu leisten, indem sie arbeiten und gesunde Familien pflegen und zoziale Dienste anbieten sollte inzwischen eine akzeptierte Wahrheit sein.
Die ganze Menschheit ist eins,
und die ganze Menschheit muss vom Überfluss der
Ressourcen unserer gemeinsamen Heimat profitieren.
Darüber hinaus ist eine klare Implikation der Einheit der Menschheit, dass Frauen und Männer gleich sind. Die wachsende Anerkennung sowohl der Einheit als auch der Gleichstellung von Frauen und Männern ist ein Kennzeichen der Moderne - und ein Zeichen dafür, dass allmählich eine globale Zivilisation entsteht, die von Gerechtigkeit, Gegenseitigkeit, Wohlstand und Gerechtigkeit geprägt ist. Dennoch muss der volle Ausdruck der Einheit in allen Facetten des Lebens erst noch verwirklicht werden. in der Tat kann sich seine Verwirklichung manchmal unerreichbar anfühlen. Dass Frauen und Mädchen häufig am härtesten von den Ungerechtigkeiten betroffen sind, die in der gegenwärtigen Ordnung der Gesellschaft entstehen, ist angesichts der historischen Kräfte, die zu dieser Ordnung geführt haben, nicht überraschend. Während die wachsende Akzeptanz des Prinzips der Einheit eines der größten Vermächtnisse des 20. Jahrhunderts war, basieren viele der ideologischen Grundlagen der vorherrschenden Gesellschaftssysteme auf Werten, die der Einheit entgegenstehen. Ideale der Ausgrenzung, des Glaubens an die inhärente Überlegenheit einiger Gruppen gegenüber anderen und des Vertrauens in den Gegner als Mittel zur Erzielung von Fortschritt sind in der DNA der Gesellschaftsstrukturen verankert. Was dann folgt, ist, dass das Prinzip der Einheit nicht oberflächlich auf diese übertragen werden kann; Die Systeme und Strukturen der Gesellschaft müssen neu gestaltet werden, um Einheit zu verkörpern.
Eine kritische Frage vor einem so wichtigen Gremium wie den Vereinten Nationen und den Mitgliedstaaten, aus denen es besteht, ist, wie die Kapazitäten und kollektiven Kräfte aller Völker der Welt, einschließlich Frauen und Mädchen, genutzt und freigesetzt werden können. Über die institutionellen Implikationen hinaus erfordern die Prinzipien der Einheit und Gleichheit tiefgreifende Veränderungen auf der Ebene der Kultur. Niemand ist frei von den hohen Forderungen der Gerechtigkeit; Alle werden aufgefordert, ihre eigenen Einstellungen, Werte und Beziehungen zu anderen ständig zu überprüfen.
Niemand ist frei von den hohen Forderungen der Gerechtigkeit;
alle werden dazu aufgefordert
ständig ihre eigene Einstellungen, Werte und Beziehungen
zu Anderen
zu überprüfen.
Beseitigung wirtschaftlicher Ungleichheiten
Aufgrund sozialer und kultureller Normen und Ungleichheiten sind Frauen während ihres gesamten Lebenszyklus besonders verwundbar. In vielen Ländern es für Frauen viel wahrscheinlicher als für Männer, ihr Einkommen zu verlieren und in Armut zu geraten. Selbst in den wirtschaftlich am weitesten fortgeschrittenen Gemeinden haben Frauen aufgrund ihrer reproduktiven Rolle oft nicht die gleichen Rollen und Verantwortlichkeiten in der Belegschaft erhalten wie ihre männlichen Kollegen. Es gibt viele Hindernisse, die Frauen und Mädchen daran hindern, Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen zu erhalten und von einer starken Infrastruktur zu profitieren.
Governance-Systeme, die kollektive Sicherheit, ökologische Nachhaltigkeit und eine gerechte und gerechte Wirtschaftsordnung fördern, müssen diese dauerhaft beseitigen. Aufgrund ihrer zentralen Bedeutung für den Sozialschutz verdienen angemessene wirtschaftliche Regelungen besondere Beachtung.
Extreme Konzentrationen von Wohlstand haben zu der verzerrten Wahrnehmung geführt, dass der Welt nicht genügend Ressourcen für alle ihre Bewohner zur Verfügung stehen. Wenn man überlegt, wie man alle Menschen aus der Armut herausholen kann, besteht verständlicherweise die Versuchung, sich auf die Schaffung von Wohlstand zu konzentrieren. Die Aufmerksamkeit für Wachstum und Einkommensgenerierung allein hat sehr oft zu mehr Wohlstand für diejenigen geführt, die ihn nicht brauchen, und zu einer erhöhten Benachteiligung für diejenigen, die dies tun.
Regulierungsstrukturen, die es einer kleinen Anzahl ermöglichen, unbeschreibliche Mengen an materiellen Ressourcen für sich und ihre Angehörigen anzuhäufen, können nicht aufrechterhalten werden. Solange Wirtschaftsmodelle moralische Erwägungen wie Gerechtigkeit und Vertrauenswürdigkeit weiterhin ignorieren und externalisieren, wird die globale finanzielle Instabilität weiter zunehmen und die gesamte Menschheit wird kämpfen.
In der Tat sind weltweit die Folgen der Umweltzerstörung zu spüren. Wirtschaftliche Paradigmen in den meisten Industrieländern behandeln Umweltauswirkungen jedoch als Externalität. Dies hat zur Verarmung der ländlichen Gemeinden, zur Ausbeutung schutzbedürftiger Bevölkerungsgruppen und zur raschen Verschlechterung der natürlichen Welt geführt. Es entstehen vielversprechende neue Modelle, die Fragen der Wirtschaft im Lichte der Planetengrenzen berücksichtigen. Diese Modelle sollten untersucht werden, um ihr Potenzial sowie ihre Grenzen zu bestimmen. Im Allgemeinen möchte die Weltgemeinschaft möglicherweise erhebliche Ressourcen einsetzen, um zu verstehen, wie Wirtschaftsmodelle, die auf Prinzipien der kollektiven Treuhandschaft, Gerechtigkeit und Gegenseitigkeit beruhen, entstehen und sich an die Bedürfnisse verschiedener Gemeinschaften anpassen können.
Die Kräfte des menschlichen Geistes freisetzen
In Gemeinden auf der ganzen Welt war ein Mangel an materiellem Wohlstand ein Hindernis für die Gewinnung, Ausbildung und Bindung qualifizierter Lehrer sowie für die Errichtung und Aufrechterhaltung von Bildungseinrichtungen.
Die Agenda 2030 betont die Stärkung der öffentlichen Infrastruktur als Mittel zur Bildung für alle. Während eine qualitativ hochwertige Bildung bis zu einem gewissen Grad von einem Fluss materieller Ressourcen abhängt, deutet die Erfahrung vieler Bahá'í-Gemeinden an der Basis darauf hin, dass selbst in den entlegensten und von Armut betroffenen Gebieten der Welt eine Fülle von Menschen vorhanden ist Ressourcen, die mit der Zeit, der Aufmerksamkeit und der klugen Kanalisierung materieller Mittel gedeihen können.
Es gibt eine Fülle von
Humanressourcen, die
mit der Zeit, Aufmerksamkeit,
und das weise Channeling
von materiellen Mitteln kann
blühen.
Wenn eine Gemeinde die Ressourcen bewertet, über die sie verfügt (z. B. die Fähigkeit der lokalen Bevölkerung, Herausforderungen zu identifizieren und Lösungen zu erörtern; die Großzügigkeit der Gemeindemitglieder, die bereit sind, Zeit, Talente und Materialien für den Bau einfacher Gebäude und anderer Bestimmungen zu spenden), können Einschränkungen auftreten Chancen weichen. Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass die Einleitung eines Bildungsprozesses, der sich mit der Freisetzung aller menschlichen Fähigkeiten befasst, nicht verzögert werden muss, bis eine starke Infrastruktur vorhanden ist. Eine qualitativ hochwertige Ausbildung erfordert die Beachtung des gesamten Bildungsprozesses - die Ausbildung der Lehrkräfte, die Auswahl oder Entwicklung geeigneter Lehrpläne, die Schaffung eines lernfördernden Umfelds und das Engagement der Gemeinschaft, in der sich der Lernprozess entfaltet. Diese unterschiedlichen Dimensionen können bis zu einem gewissen Grad durch materielle Ressourcen ergänzt und verstärkt werden. Noch wichtiger ist es jedoch sicherzustellen, dass Lehrer und Schüler in einen Prozess des Kapazitätsaufbaus einbezogen werden, der die Kräfte des menschlichen Geistes freisetzt.
Der menschliche Geist - der in gewissem Sinne als Sammlung von Begabungen angesehen werden kann, die Menschen von anderen Spezies, einschließlich des menschlichen Verstandes, unterscheiden - hat die Fähigkeit zu wissen, zu lieben und zu wollen. Es ist eine Kraft, die zu lange unterbewertet wurde, und als solche wurde der Menschheit eine grenzenlose Quelle des Wohlstands entzogen. Die Freisetzung seiner Kräfte erfordert eine Ausbildung, die Kindern hilft, die Fähigkeiten und Kenntnisse zu entwickeln, die erforderlich sind, um sowohl ihren Charakter zu verändern als auch ein produktives Leben zu führen.
Der menschliche Geist -
der in gewissem Sinne als Sammlung von Begabungen angesehen werden kann,
die Menschen von anderen Spezies,
einschließlich des menschlichen Verstandes,
unterscheiden -
hat die Fähigkeit zu wissen, zu lieben und zu wollen.
Dies würde die Beschäftigung mit Literatur und Kunst, die wissenschaftliche Ausbildung, die Beherrschung technischer Fähigkeiten, die Fähigkeit zur Teilnahme an individuellen und kollektiven Entscheidungsprozessen und die Entwicklung der Fähigkeit zur Ermittlung von Bedürfnissen und zur Beratung bei Lösungen umfassen. Während sich ihre Fähigkeiten allmählich entwickeln und in der Gemeinschaft zum Ausdruck kommen, entstehen jene Künste, Wissenschaften, Innovationen, Philosophien und Ethiken, von denen die Zivilisation abhängt.
Die Unfähigkeit, Frauen und Mädchen in jeder Phase ihres Lebens sozial zu schützen, ist nur eines der Symptome einer veralteten Gesellschaftsordnung. Dies erfordert, dass die derzeitige Ordnung durch politische Änderungen, durch die Verabschiedung gerechter Gesetze und durch Maßnahmen zur Schließung der Lücken extremer Ungleichheiten an ihre Grenzen stößt. Diese Veränderungen werden sich, obwohl notwendig, als unzureichend erweisen, um die neuen Lebensmuster hervorzubringen, die es allen Menschen ermöglichen, zu gedeihen.
Angesichts der Tatsache, dass viele der Systeme und Strukturen der Gesellschaft genau darauf ausgelegt waren, Herrschaft und Ungleichheit zu stärken, müssen erhebliche Ressourcen auch für das Erlernen wirksamer Modelle von Regierungsführung, Bildung und Wirtschaft verwendet werden, die auf einer völlig neuen Reihe von Prinzipien beruhen: Die Menschen sind eins und Frauen und Männer sind gleich, sodass die entstehenden Kräfte des Kollektivs durch Kooperation und Gegenseitigkeit freigesetzt werden können und dass der Fortschritt der Menschheit durch die uneingeschränkte Beteiligung aller Menschen an der Neugestaltung der Welt erheblich unterstützt wird.
Die Menschen sind eins, ...
Frauen und Männer sind gleich,
... die aufstrebenden Kräfte
des Kollektivs können durch
Zusammenarbeit und Gegenseitigkeit
freigegeben werden,
und ... der Fortschritt der Menschheit wird sehr gestärkt werden
durch die volle Teilnahme aller Menschen
bei der Schaffung einer neuen Welt.
Dieser Artikel ist eine nicht autorisierte Übersetzung nach bestem Wissen der Übersetzers ohne Garantie.
Copyright 2019 Bahá’í International Community
Bahá’í International Community
866 United Nations Plaza, Suite 120
New York, NY 10017, USA
Zur gegenwärtigen Phase der Menschheitsgeschichte
Zusammenstellung von Auszügen aus den Schriften Bahá’u’lláhs und ‘Abdu’l-Bahás sowie Briefen von Shoghi Effendi und dem Universalen Haus der Gerechtigkeit
Internationales Lehrzentrum
September 2020
Der aktuelle Weltzustand von Chaos und Verwirrung
1
Die Welt ist aus dem Gleichgewicht geraten durch die Schwungkraft dieser grössten, dieser neuen Weltordnung. Die Lebensordnung der Menschheit ist aufgewühlt durch das Wirken dieses einzigartigen, dieses wundersamen Systems, desgleichen kein sterbliches Auge je gesehen hat.
Bahá’u’lláh
2
O ihr, die ihr Gott liebt! Die Welt gleicht einem Menschen, der krank und schwach ist, dessen Augen nichts mehr sehen und dessen Ohren taub wurden. Seine ganze Kraft ist zerstört und verbraucht. Deshalb müssen die Freunde Gottes fähige Ärzte sein, die diesen Kranken nach den heiligen Lehren pflegen, bis er wieder gesund ist. So Gott will, wird die Welt genesen und auf Dauer heil bleiben. Ihre erschöpften Fähigkeiten werden wiederhergestellt, ihr Leib wird solche Lebenskraft und Frische annehmen, dass er in heiterer Anmut erstrahlt.
‘Abdu’l-Bahá
3
Der Ruf Bahá’u’lláhs ist in erster Linie gegen jede Art von Provinzialismus, jede Engstirnigkeit, jedes Vorurteil gerichtet. Wenn lang gehegte Ideale, wenn altehrwürdige Institutionen, wenn gesellschaftliche Postulate und religiöse Glaubensbekenntnisse das Wohl der Gesamtheit aller Menschen nicht mehr fördern, wenn sie den Bedürfnissen einer sich ständig entwickelnden Menschheit nicht länger gerecht werden, dann fegt sie hinweg und verbannt sie in die Rumpelkammer veralteter und vergessener Doktrinen!
Warum sollten sie in einer Welt, die dem unabänderlichen Gesetz des Wandels und des Verfalls unterliegt, von der Entartung verschont bleiben, die alle menschlichen Einrichtungen zwangsläufig ereilt? Rechtsnormen, politische und wirtschaftliche Theorien sind nur dazu da, die Interessen der Menschheit als Ganzes zu schützen; nicht aber ist die Menschheit dazu da, für die unversehrte Aufrechterhaltung eines bestimmten Gesetzes oder Lehrsatzes gekreuzigt zu werden.
Shoghi Effendi
4
Die universelle Krise, die die Menschheit erfasst hat, ist somit im Wesentlichen geistigen Ursprungs. Der Zeitgeist als solcher ist irreligiös. Die Sicht des Menschen auf das Leben ist zu primitiv und materialistisch, als dass er sich in die höheren Bereiche des Geistes erheben könnte.
Im Auftrag von Shoghi Effendi
5
Schmerzgeprüft und enttäuscht, hat die Menschheit zweifellos die Orientierung und, wie es scheint, auch Glauben und Hoffnung verloren. Schwankend, hirtenlos, blind steht sie am Rande des Unheils. Ein Gefühl von unabwendbarem Verhängnis scheint sie zu durchdringen. Immer tieferes Düster senkt sich auf ihr Geschick, während sie immer weiter aus dem Vorhof in die eigentliche Dunkelzone ihres aufgewühlten Lebens hineingleitet.
Shoghi Effendi
6
Der Verfall religiöser und moralischer Schranken hat einen wütenden Sturm aus Chaos und Verwirrung entfesselt, der bereits Anzeichen weltweiter Anarchie aufweist. Die Baháʼí-Weltgemeinde, die in diesen Strudel hinein gezogen wird und mit unverletzbarer Einheit und geistiger Kraft ihrer erlösenden Aufgabe nachgeht, leidet zwangsläufig auch unter der Zerrüttung des wirtschaftlichen, sozialen und bürgerlichen Lebens, die ihre Mitmenschen auf dem ganzen Planeten heimsucht.
Das Universale Haus der Gerechtigkeit
7
... Die Feder des Mittelpunkts des Bundes hat wiederholt vorausgesagt, dass unerträgliche Katastrophen diese eigensinnige Menschheit heimsuchen müssen, bevor sie den lebenspendenden Lehren Bahá’uʼlláhs Beachtung schenkt.
Chaos und Verwirrung in der Welt nehmen täglich zu. Sie werden so heftig, dass das Ordnungsgefüge der Menschheit sie nicht mehr ertragen können wird. Dann werden die Menschen wachgerüttelt und sich dessen bewusst werden, dass die Religion die uneinnehmbare Feste und das offenbare Licht der Welt ist, und dass ihre Gesetze, Ermahnungen und Lehren die Quelle des Lebens auf Erden sind.
Jedes scharfsichtige Auge sieht deutlich die täglichen Auswirkungen der Anfangsphasen dieses Chaos auf die Struktur der menschlichen Gesellschaft; seine zerstörerischen Kräfte entwurzeln altehrwürdige Institutionen, die in vergangenen Tagen und Jahrhunderten ein sicherer Hafen und Zufluchtsort der Erdenbewohner waren, und um die sich alle menschlichen Angelegenheiten drehten.
Das Universale Haus der Gerechtigkeit
8
Begebenheiten von ausserordentlich tiefgreifender Bedeutung ereignen sich in der Welt. Der Strom der menschlichen Geschichte fließt mit verwirrender Geschwindigkeit. Jahrhundertealte Institutionen stürzen in sich zusammen. Traditionen werden abgetan, und neugeborene Ideologien, von denen in aller Naivität erwartet wurde, dass sie ihren Platz einnehmen würden, schwinden dahin und zerfallen vor den Augen ihrer ernüchterten Anhänger.
Von allen Seiten von den Turbulenzen dieses Zeitalters bedrängt, unerschütterlich auf das Wort Gottes gegründet, durch den Schild des Bundes Gottes geschützt und von den himmlischen Heerscharen unterstützt, erhebt sich mitten in diesem Zerfall und Zusammenbruch überall auf der Welt die Ordnung Bahá’u’lláhs.
Das Universale Haus der Gerechtigkeit
9
Liebe Freunde, während die Welt ihre dunkelste Stunde vor der Morgendämmerung durchläuft, drängt die immer heller leuchtende Sache Gottes vorwärts zu jenem herrlichen Tagesanbruch, an dem das göttliche Banner entfaltet und die Nachtigall des Paradieses ihre Melodie singen wird.
Das Universale Haus der Gerechtigkeit
10
Mit dem Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts zeichneten sich neue drohende Herausforderungen ab. Mit der Zeit verstärkten sich diese und führten zu einem Rückzug von den vielversprechenden Vorwärtsschritten, mit denen das vorige Jahrhundert geendet hatte. Heutzutage treiben viele, überall in den Gesellschaften vorherrschende Strömungen die Menschen auseinander, anstatt sie zusammenzuführen. Auch wenn die weltweite Armut in ihrer extremsten Form zurückgegangen ist, haben politische und wirtschaftliche Systeme die Anhäufung maßlosen, exorbitanten Reichtums seitens kleiner Seilschaften ermöglicht – eine Situation, die die fundamentale Instabilität im Weltgeschehen noch verschärft. Die Interaktionen zwischen dem einzelnen Bürger, den Regierungsinstitutionen und der Gesellschaft insgesamt sind oft angespannt, da diejenigen, die für den Vorrang des einen oder des anderen plädieren, immer mehr Unnachgiebigkeit in ihrem Denken zeigen. Religiöser Fundamentalismus verzerrt den Charakter von Gemeinschaften, ja sogar ganzer Nationen. Das Versagen so vieler Organisationen und Institutionen der Gesellschaft hat verständlicherweise zu einem Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit geführt; dies wiederum ist systematisch von Interessengruppen ausgenutzt worden, die versuchen, die Glaubwürdigkeit aller Wissensquellen zu untergraben. Bestimmte gemeinsame ethische Grundsätze, die zu Beginn dieses Jahrhunderts auf dem Vormarsch zu sein schienen, werden ausgehöhlt, was den vorherrschenden Konsens hinsichtlich Recht und Unrecht bedroht, durch den es in verschiedenen Bereichen gelungen war, die niedersten Triebe des Menschen in Schach zu halten. Und der Wille, sich aktiv an internationalem kollektiven Handeln zu beteiligen – vor zwanzig Jahren eine mächtige Denkströmung unter führenden Politikern der Welt – wird durch den Angriff wiederauflebender Kräfte des Rassismus, des Nationalismus und der Fraktionsbildung stark geschwächt.
So sammeln sich die Kräfte der Desintegration neu und gewinnen an Boden. Wie dem auch sei, die Vereinigung der Menschheit ist durch keine menschliche Kraft aufzuhalten; die Verheißungen der früheren Propheten und des Urhebers der Sache Gottes Selbst bezeugen diese Wahrheit. Doch der Weg, den die Menschheit einschlägt, um ihre Bestimmung zu erreichen, kann sehr wohl verschlungen sein. Der von den streitenden Völkern der Erde erregte Tumult droht die Stimmen jener edelgesinnten Seelen in jeder Gesellschaft zu übertönen, die zu einem Ende von Konflikt und Kampf aufrufen. Solange dieser Aufruf unbeachtet bleibt, besteht kein Grund zu bezweifeln, dass sich der gegenwärtige Zustand der Unordnung und Verwirrung der Welt verschlimmern wird – möglicherweise mit katastrophalen Konsequenzen – bis eine geläuterte Menschheit die Notwendigkeit erkennt, einen weiteren bedeutsamen, vielleicht dieses Mal entscheidenden Schritt in Richtung eines dauerhaften Friedens zu tun.
Das Universale Haus der Gerechtigkeit
11
Wie schwierig die Dinge derzeit auch sein mögen und wie nahe einige Teile der Gesellschaft auch an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gebracht werden – die Menschheit wird letztlich durch diese Feuerprobe gehen und daraus mit größerer Einsicht und mit einem tieferen Verständnis für die ihr innewohnende Einheit und gegenseitige Abhängigkeit hervortreten.
Das Universale Haus der Gerechtigkeit
12
In vielen Ländern ist die Lage, trotz tapferer und entschlossener kollektiver Bemühungen zur Abwehr der Katastrophe, bereits sehr ernst, was für Familien und Einzelne zu Tragödien führt und ganze Gesellschaften in eine Krise stürzt. Wellen des Leidens und der Trauer brechen über einen Ort nach dem anderen herein und werden unterschiedliche Nationen, zu unterschiedlichen Zeitpunkten, auf unterschiedliche Weise schwächen.
Das Universale Haus der Gerechtigkeit
Die Haltung der Bahá’í
13
Dann tauche ein und fürchte keinen! Vertraue auf Gott, deinen Herrn. Wer auf Ihn vertraut, dem genügt Er. Er wird dich wahrlich beschützen, und bei Ihm wirst du sicher wohnen.
Bahá’u’lláh
14
Die Geliebten des Herrn müssen fest wie Berge sein, standhaft wie unüberwindliche Festungsmauern. Unerschütterlich müssen sie auch in bitterer Not bleiben, unbekümmert auch im schlimmsten Unheil: Lasst sie festhalten am Saum des allmächtigen Gottes, verankert im Glauben an die Schönheit des Allerhöchsten; lasst sie auf die unfehlbare Hilfe aus dem Urewigen Königreich bauen und sich stützen auf die schützende Fürsorge des großmütigen Herrn. Lasst sie allezeit sich erfrischen mit den Tautropfen himmlischer Gnade und sich durch den Odem des Heiligen Geistes in jedem Augenblick wiederbeleben. Lasst sie aufstehen zum Dienste an ihrem Herrn und alles in ihrer Macht Stehende tun, Seine Düfte der Heiligkeit allüberall zu verbreiten. Lasst sie ein mächtiges Bollwerk sein, Seinen Glauben zu verteidigen, eine uneinnehmbare Feste für die Heerscharen der Urewigen Schönheit. Lasst sie über den Bau der Sache Gottes von allen Seiten sorgsam wachen; lasst sie strahlende Sterne werden an Seinen leuchtenden Himmeln. Denn die Horden der Finsternis bestürmen diese Sache von allen Seiten, und die Völker der Erde wollen dieses offenbare Licht ersticken. Und wenn alle Geschlechter der Welt zum Angriff rüsten, wie können wir da unsere Aufmerksamkeit auch nur für einen Augenblick schweifen lassen? Wisst um diese Dinge mit Sicherheit, seid wachsam und beschützt die Sache Gottes.
‘Abdu’l-Bahá
15
O Heerschar Gottes! Widerfährt euch Unheil, so seid geduldig und gelassen. Wie quälend euer Leid auch sei, bleibt ruhig, und mit vollkommenem Vertrauen auf Gottes überströmende Gnade trotzet dem Sturm der Trübsal und des feurigen Gottesgerichts.
‘Abdu’l-Bahá
16
Verwöhnt euren Leib nicht mit Ruhe, sondern arbeitet mit ganzer Seele, und aus vollem Herzen ruft und bittet Gott, dass Er euch Seine Hilfe und Gnade gewähre. So verwandelt ihr diese Welt in das Paradies Abhá, diesen Erdball in den Paradeplatz für das Reich der Höhe. Wenn ihr nur die Mühe auf euch nehmt, wird diese Pracht sicherlich leuchten, diese Wolken der Barmherzigkeit werden ihren Regen verströmen, diese lebenspendenden Winde werden sich erheben und wehen, dieser süßduftende Moschus wird sich allenthalben verbreiten.
O ihr, die ihr Gott liebt! Denkt nicht weiter darüber nach, was an diesem heiligen Ort noch geschehen mag, und seid in keiner Weise beunruhigt. Was immer geschieht, gereicht zum besten; denn Leid ist nur der innerste Kern der Gnadengabe, Sorge und Plage sind lautere Barmherzigkeit, Schmerz ist Seelenfrieden, und ein Opfer zu bringen, bedeutet, ein Geschenk zu empfangen. Was auch immer geschehen wird, es kommt aus Gottes Gnade.
Richtet euren Blick deshalb auf eure eigenen Aufgaben: Führt das Volk und erzieht es auf den Wegen ‘Abdu’l-Bahás. Überbringt der Menschheit diese frohe Botschaft aus dem Reich Abhá. Rastet weder bei Tag noch bei Nacht. Sucht keinen Augenblick der Ruhe. Bemüht euch mit ganzer Kraft und bringt den Menschen diese frohe Botschaft zu Gehör. In eurer Liebe zu Gott und eurer Bindung an ‘Abdu’l-Bahá nehmt jede Drangsal, jede Sorge auf euch. Erduldet des Angreifers Hohn, nehmt des Feindes Vorwurf hin. Folgt den Fußstapfen ‘Abdu’l-Bahás auf dem Pfade der Schönheit Abhá und sehnt euch jeden Augenblick danach, euer Leben hinzugeben. Strahlt wie die Sonne, seid ruhelos wie das Meer, vergießt wie die Wolken des Himmels Leben über Feld und Flur, und den Aprilwinden gleich blast Frische durch den Menschenwald und bringt ihn zum Blühen.
‘Abdu’l-Bahá
17
„Einen Wissenden und einen Liebenden erkennt man daran, dass er mitten im Meer trocken bleibt.“ Das traf auch auf ihn zu ...
Er blieb trocken in den Tiefen des Meeres, kühl und sicher im Herzen des Feuers ...
‘Abdu’l-Bahá
18
Und wenn ihr jetzt in Übereinstimmung mit den Lehren Bahá’u’lláhs handelt, könnt ihr sicher sein, dass euch geholfen wird und ihr bestätigt werdet. Ihr werdet in allem, was ihr unternehmt, den Sieg davontragen, und kein Volk auf Erden wird euch aufhalten können. Ihr werdet sie bezwingen, weil die Kraft des Heiligen Geistes euch beisteht. Über alle physischen und natürlichen Kräfte hinaus wird der Heilige Geist selbst euch beistehen.
‘Abdu’l-Bahá
19
Sicher hat die Sache wie jede andere Bewegung ihre Hindernisse, Probleme und unvorhergesehenen Schwierigkeiten, doch im Gegensatz zu anderen Organisationen begeistert sie zu Glauben und Hingabe, was nie verfehlen wird, uns zu neuen ernsthaften Anstrengungen zu veranlassen, um diesen Schwierigkeiten zu begegnen und alle Streitfälle zu klären, die aufkommen können und müssen.
Mit großer Hoffnung schaue ich auf Ihre verstärkten Bemühungen und Ihre feste Entschlossenheit, in der Sie niemals nachlassen werden, um die Einheit, die Wirksamkeit und die Würde der Sache zu wahren, koste es, was es wolle.
Shoghi Effendi
20
In einem solchen Prozess der Reinigung, in dem sich die gesamte Menschheit in schrecklichem Leid befindet, sollten die Baháʼí nicht hoffen, davon unberührt zu bleiben. Wenn wir auf den Balken in unserem eigenen Auge achteten, würden wir sofort feststellen, dass diese Leiden auch für uns selbst bestimmt sind, die wir behaupten etwas erreicht zu haben. Eine solche Weltkrise ist notwendig, um uns vor Augen zu führen, welche Bedeutung unsere Pflicht und die Fortführung unserer Aufgabe hat. Leiden verleiht uns zusätzliche Kräfte, mit denen wir der Menschheit den Weg zur Erlösung weisen können; es wird uns aus unserer Zurückhaltung herausholen, denn wir sind weit davon entfernt, unser Bestes darin zu leisten, die Sache zu lehren und die Botschaft zu überbringen, mit der wir betraut wurden.
Im Auftrag von Shoghi Effendi
21
Dass die mit dem Namen Bahá’u’lláhs verknüpfte Sache sich aus verborgenen Quellen himmlischer Kraft versorgt, die keine noch so machtvolle menschliche Persönlichkeit von noch so zauberhaftem Glanz ersetzen kann; dass sie voll auf jenen mystischen Born vertraut, mit dem kein weltlicher Vorzug, kein Reichtum, kein Ruhm, keine Gelehrsamkeit wetteifern kann; dass sie sich auf eine geheimnisvolle Weise verbreitet, die den von aller Welt angenommenen Maßstäben völlig widerspricht – all dies wird, soweit noch nicht ersichtlich, in wachsendem Maße offenbar werden, während die Sache Gottes in ihrem Kampf um die geistige Wiedergeburt der Menschheit zu immer neuen Siegen voranstürmt.
Shoghi Effendi
22
Wenn eine solche Krise über die Welt hereinbricht, kann niemand hoffen, davon unversehrt zu bleiben. Wir gehören zu einer organischen Einheit, und wenn ein Teil des Organismus leidet, wird der übrige Körper die Folgen spüren. Das ist der eigentliche Grund, warum Bahá’u’lláh unsere Aufmerksamkeit auf die Einheit der Menschheit lenkt. Aber wir sollten als Bahá’í nicht zulassen, dass eine solche Härte unsere Hoffnung für die Zukunft schwächt.
Im Auftrag von Shoghi Effendi
23
In diesem Licht betrachtet, wirkt der unaufhaltsame Vormarsch des Glaubens Bahá’u’lláhs, der angetrieben wird durch die belebenden Einflüsse, die erzeugt werden durch die Torheit seiner Feinde sowie die dem Glauben selbst innewohnenden Kräfte, wie eine Folge rhythmischen Pulsierens, das einerseits von den jähen Ausbrüchen seiner Feinde, andererseits von den Vibrationen göttlicher Macht herrührt, die ihn beide gleichermaßen mit wachsender Schwungkraft entlang des von der Hand des Allmächtigen vorgezeichneten Kurses vorantreiben.
Shoghi Effendi
24
Uns obliegt es, unseren Blick unbeirrt auf die Pflichten und Verantwortungen zu richten, vor denen wir in dieser Stunde stehen, unsere materiellen und geistigen Mittel auf die unmittelbar vor uns liegenden Aufgaben zu konzentrieren und sicherzustellen, dass keine Zeit verschwendet, keine Gelegenheit versäumt, keine Verpflichtung umgangen, keine Aufgabe halbherzig ausgeführt und keine Entscheidung hinausgezögert wird. Die Aufgabe, die uns vor solch eine beispiellos gravierende und gewaltige Herausforderung stellt, ist zu umfassend und zu heilig, die Zeit zu kurz, die Stunde zu gefahrvoll, die Zahl der Mitarbeiter zu gering, der Aufruf zu drängend, die Mittel zu knapp, als dass wir zulassen könnten, dass uns diese flüchtigen und kostbaren Stunden entgleiten und die Siegespreise, die sich schon in Reichweite befinden, gefährdet oder verwirkt werden.
Shoghi Effendi
25
Die Baumeister der sich erhebenden Weltordnung Bahá’u’lláhs müssen edlere Höhen des Heldentums erklimmen, jetzt, da die Menschheit in größere Tiefen der Verzweiflung, Erniedrigung, Zwietracht und Not versinkt. Sie sollten der Zukunft entgegengehen, voller Zuversicht, dass die Stunde ihrer höchsten Anstrengungen und die beste Gelegenheit für ihre größten Heldentaten mit dem apokalyptischen Umbruch zusammenfallen muss, der den Tiefpunkt im raschen Niedergang der Geschicke der Menschheit markiert.
Shoghi Effendi
26
Es wird deutlich, dass die Wehen der Welt noch nicht zu Ende sind, dass das neue Zeitalter noch nicht ganz geboren ist, dass wirklicher Frieden noch nicht vor der Tür steht. Wir dürfen uns keine falsche Vorstellung davon machen, wie viel von uns und unserem Erfolg oder Misserfolg abhängt. Die ganze Menschheit leidet und ist verstört und verwirrt; wir können nicht erwarten, dass wir nicht leiden und nicht verstört sind – aber wir müssen nicht verwirrt sein. Im Gegenteil, wir genießen das Vorrecht auf Zuversicht und Gewissheit, Hoffnung und Optimismus. Die erfolgreiche Durchführung unserer verschiedenen Pläne ist das größte Zeichen unseres Glaubens und unserer inneren Sicherheit und der beste Weg, wie wir unseren Mitmenschen aus ihrer Verwirrung und ihren Schwierigkeiten heraushelfen können.
Im Auftrag von Shoghi Effendi
27
Die Himmlischen Heerscharen stehen gerüstet zwischen Erde und Himmel, bereit denen zur Hilfe zu eilen, die sich erheben, den Glauben zu lehren. Wer die Bestätigungen des Heiligen Geistes sucht, kann sie in höchster Fülle auf dem Lehrfeld finden. Die Welt sucht wie nie zuvor, und wenn sich die Freunde mit neuer Entschlossenheit erheben, voller Hingabe an die edle Aufgabe gehen, die vor ihnen liegt, dann wird Sieg um Sieg für den herrlichen Glauben Gottes errungen werden.
Im Auftrag von Shoghi Effendi
28
In einer so leidvollen Zeit, in der die Menschheit verwirrt ist und die weisesten Menschen hinsichtlich des Heilmittels ratlos sind, kann das Volk Bahás, im Vertrauen auf Seine nie versiegende Gnade und göttliche Führung, sicher sein, dass jede dieser quälenden Prüfungen eine Ursache, einen Zweck und ein bestimmtes Ergebnis hat, und dass sie alle wesentliche Instrumente für die Durchsetzung des unabänderlichen Willens Gottes auf Erden sind.
Mit anderen Worten: Auf der einen Seite wird die Menschheit von der Geißel Seiner Züchtigung heimgesucht, die unweigerlich die versprengten und bezwungenen Volksstämme der Erde zusammenführen wird; und auf der anderen Seite werden die wenigen Schwachen, die Er unter dem Schutz Seiner liebevollen Führung genährt hat, in diesem Gestaltenden Zeitalter und in dieser Übergangsphase weiterhin inmitten dieser stürmischen Wellen eine uneinnehmbare Festung errichten, die die einzige verbleibende Zuflucht für diese verlorenen Massen sein wird. Deshalb lassen sich die geliebten Freunde Gottes, die eine so weite und klare Vision vor sich haben, durch solche Ereignisse nicht beunruhigen, noch werden sie von solchen Donnerschlägen in Panik versetzt, noch werden sie solchen Erschütterungen mit Furcht und Zittern begegnen, noch werden sie auch nur für einen Augenblick von der Erfüllung ihrer heiligen Pflichten abgehalten sein.
Das Universale Haus der Gerechtigkeit
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Jede Institution dieser göttlich erschaffenen Ordnung ist eine weitere Zuflucht für die bestürzten Völker; jede Seele, die durch das Licht dieser heiligen Botschaft erleuchtet wird, ist ein weiteres Bindeglied in der Einheit der Menschheit, ein weiterer Diener, der die Nöte einer kranken Welt zu beleben hilft. Sogar wenn die Bahá’í-Gemeinden in den unmittelbar vor uns liegenden Jahren vom Weltzentrum oder von einander getrennt werden sollten – wie mit einigen bereits geschehen – werden die Bahá’í weder schwanken noch zum Stillstand kommen. Sie werden unter der Führung ihrer Geistigen Räte und geleitet durch die Berater, die Hilfsamtsmitglieder und deren Assistenten unaufhörlich ihre Ziele verfolgen.
Das Universale Haus der Gerechtigkeit
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Mögen Sie alle sich erheben und die Aufgaben dieses entscheidenden Augenblicks in Angriff nehmen. Möge jeder von Ihnen einer kurzen Zeitspanne, die voller Möglichkeiten steckt, sein oder ihr Siegel aufdrücken. Rufen Sie sich stets den Ratschlag Shoghi Effendis, der uns unfehlbar leitet, ins Gedächtnis, auf dass Sie nicht von den drastischen Ereignissen dieser Übergangszeit abgelenkt und übermäßig beunruhigt werden: „Es ist nicht an uns, die wir winzige Sterbliche sind, in einem so kritischen Abschnitt der langen, buntbewegten Menschheitsgeschichte zu versuchen, zu einem genauen und befriedigenden Verständnis der Schritte zu gelangen, welche eine blutende Menschheit, die ihren Gott erbärmlich vergessen und Bahá’u’lláh nicht beachtet hat, nach und nach von ihrem Golgatha zu ihrer endlichen Auferstehung führen. ... Wie verwirrt der Schauplatz, wie trübe der gegenwärtige Ausblick, wie eng begrenzt die uns verfügbaren Hilfsmittel auch seien, unser ist die Pflicht, heiter, vertrauensvoll und unaufhörlich zu arbeiten und, auf welche Weise auch immer die Umstände uns dazu befähigen mögen, unseren Anteil zu geben für das Wirken der Kräfte, die, von Bahá’u’lláh geleitet und gelenkt, die Menschheit aus dem Tal des Elends und der Schmach auf die erhabensten Höhen der Macht und Herrlichkeit führen.“
Das Universale Haus der Gerechtigkeit
31
Wie bemerkenswert ist es, dass – inmitten der Kakophonie festgefügter Meinungen und gegensätzlicher Interessen, die überall heftiger wird – Sie sich darauf konzentrieren, Menschen zusammenzubringen, um Gemeinden aufzubauen, die Oasen der Einheit sind. Lassen Sie die Vorurteile und Feindseligkeiten der Welt, ohne sich in irgendeiner Weise von ihnen entmutigen zu lassen, zu Mahnungen werden, wie dringend Seelen überall um Sie herum den heilsamen Balsam benötigen, den Sie allein ihnen darreichen können.
Das Universale Haus der Gerechtigkeit
32
Die Verpflichtungen, denen die Gemeinschaft der Gläubigen nachkommen muss, werden immer drängender aufgrund der Verwirrung, des Misstrauens und der Eintrübung in der Welt. Tatsächlich sollten die Freunde jede Gelegenheit nutzen, ein Licht zu spenden, das den Weg erhellen und den Ängstlichen Sicherheit, den Verzweifelnden Hoffnung bieten kann.
Das Universale Haus der Gerechtigkeit
33
Zur Zeit einer anderen Krise bot ‘Abdu’l-Bahá folgenden Ratschlag an:
„An einem Tag wie diesem, an dem die Stürme der Prüfungen und Drangsale die Welt umspannen und Furcht und Zittern den Planeten aufgewühlt haben, müsst ihr euch mit erleuchtetem Angesicht und strahlender Stirn solcherart über den Horizont der Festigkeit und Standhaftigkeit erheben, dass, so Gott will, das Dunkel der Angst und Bestürzung völlig gebannt werden und das Licht der Zuversicht über dem sichtbaren Horizont aufgehen und in vollem Glanz erstrahlen möge.“
Das Universale Haus der Gerechtigkeit
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Die zweite Realität, die mit jedem Tag sichtbarer wird, ist die Widerstandsfähigkeit und ungebrochene Vitalität der Bahá’í-Welt angesichts einer Herausforderung, die ihresgleichen sucht, solange wir zurückdenken können. ...
Wie lang und beschwerlich der zu beschreitende Weg auch sein mag, wir setzen höchstes Vertrauen in Ihre Standhaftigkeit und Ihre Entschlossenheit, den Weg zu Ende zu gehen. Sie schöpfen aus den Vorräten der Hoffnung, des Glaubens und der Großmut, indem Sie die Bedürfnisse anderer vor Ihre eigenen stellen, so dass diejenigen, die in Not sind, geistig genährt werden können, diejenigen, die zunehmend nach Antworten dürsten, zufriedengestellt werden, und denjenigen, die sich danach sehnen, für die Besserung der Welt zu arbeiten, die Mittel dazu geboten werden. Wie könnten wir weniger von den ergebenen Anhängern der Gesegneten Vollkommenheit erwarten?
Das Universale Haus der Gerechtigkeit
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... Die Welt ist fest im Griff eines sich schnell ausbreitenden Virus, der viele tausend Menschenleben gefordert und einen großen Teil der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aktivitäten der Menschheit erheblich beeinträchtigt hat. Dennoch ist die Bahá’í-Gemeinde gelassen geblieben und hat schnell gehandelt, um den unmittelbaren Anforderungen gerecht zu werden, mit denen sie sich konfrontiert sah. Sie hat Wege gefunden, um die Kontinuität des Gemeindelebens zu gewährleisten, und ist gleichzeitig bestrebt, ihren Teil dazu beizutragen, sich der geistigen und materiellen Bedürfnisse der Gesellschaft auf breiterer Basis anzunehmen – eine angemessene Antwort auf eine Notsituation. ...
... Natürlich müssen die durchgeführten Aktivitäten den derzeit herrschenden Bedingungen entsprechen, aber es sollte kein Zweifel daran bestehen, dass dies eine Zeit für edle Ziele, große Entschlossenheit und intensives Bemühen ist. ... Es ist daher wichtig, dass die Schritte, die derzeit unternommen werden, um zu lernen, den Handlungsrahmen des Plans auf die gegenwärtigen Umstände der Welt anzuwenden, ernsthaft fortgesetzt werden; aller Wahrscheinlichkeit nach wird die globale Gesundheitskrise über Monate oder sogar Jahre hinweg in unterschiedlichem Maße direkte Auswirkungen auf die Bahá’í-Aktivitäten haben, und die Aufgabe, sich an die Situation anzupassen, duldet keinen Aufschub. ...
Wenn sich die Gesellschaft in solchen Schwierigkeiten und solcher Bedrängnis befindet, wird die Verantwortung der Bahá’í, einen konstruktiven Beitrag zum menschlichen Miteinander zu leisten, stärker. Dies ist ein Moment, in dem unterschiedliche, aber miteinander verbundene Handlungslinien an einem einzigen Punkt zusammenlaufen und der Aufruf zum Dienst laut erschallt. ...
Sie sind sich natürlich ständig dessen bewusst, dass Ihre Verantwortung über die Verwaltung der Angelegenheiten der Gemeinde und die Kanalisierung ihrer Energien zur Erfüllung edler Ziele hinausgeht: Sie sind bestrebt, das Bewusstsein für jene geistigen Kräfte zu schärfen, die jedem über zeugten Gläubigen zur Verfügung stehen und die in der Stunde der Not aufgeboten werden müssen. Es sind diese Kräfte, die der Gemeinde Widerstandsfähigkeit verleihen, ihre Integrität sicherstellen und bewirken, dass sie auf ihre göttliche Mission fokussiert bleibt, der Menschheit zu dienen und ihre Vision von der Zukunft auf eine höhere Ebene zu heben.
Das Universale Haus der Gerechtigkeit
Quellenangaben
1 Bahá’u’lláh, Kitáb-i-Aqdas 181
2 ‘A bdu’l-bahá, Briefe und Botschaften 200:6
3 Shoghi E ffendi , Brief vom 28. November 1931, in: Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 69
4 Shoghi E ffendi , Brief in seinem Auftrag vom 8. Dezember 1935 an einen einzelnen Gläubigen,
in: Directives from the Guardian (New Delhi:Bahá’í Publishing Trust, 1973), S. 86
5 Shoghi E ffendi , Brief vom 11. März 1936,in: Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 276
6 Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Naw-Rúz-Botschaft 1979 an die Bahá’í der Welt
7 Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Botschaft vom 10. Februar 1980 an die in anderen Ländern der Welt lebenden iranischen Freunde
8 Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Botschaft vom 3. November 1980 an die Bahá’í der Welt
9 Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Riḍván-Botschaft 1986 an die Bahá’í der Welt
10 Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Botschaft vom 18. Januar 2019 an die Bahá’í der Welt
11 Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Naw-Rúz 177 (2020) Botschaft an die Bahá’í der Welt
12 Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Riḍván-Botschaft 2020 an die Bahá’í der Welt
13 Bahá’u’lláh, Edelsteine göttlicher Geheimnisse: Javáhiru’l-Asrár 83
14 ‘Abdu’l-bahá, Briefe und Botschaften 2:15
15 ‘Abdu’l-bahá, Briefe und Botschaften 35:12
16 ‘Abdu’l-bahá, Briefe und Botschaften 200:9-11
17 ‘Abdu’l-bahá, Vorbilder der Treue: Erinnerungen an frühe Gläubige (Hofheim-Langenhain: Bahá’í-Verlag 1987), S. 25
18 ‘Abdu’l-bahá, Star of the West, Bd. 8, Nr. 8 (1. August 1917), S. 103 – überarbeitete Übersetzung
19 Shoghi E ffendi , Brief vom 16. Dezember 1922, in: Bahá’í Administration: Selected Messages, 1922–1932 (Wilmette: Bahá’í Publishing Trust, 1974, 1995 printing), S. 28
20 Shoghi E ffendi , Brief in seinem Auftrag vom 14. Oktober 1931 an einen einzelnen Gläubigen, in: Lights of Guidance: A Bahá’í Reference File, compiled by Helen Hornby, 2nd rev. ed. (New Delhi: Bahá’í Publishing Trust, 1988, 2010 printing), no. 447, S. 134
21 Shoghi Effendi, Brief vom 21. März 1932, in: Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 82
22 Shoghi Effendi, Brief in seinem Auftrag vom 14. April 1932 an eine Bahá’í Familie, in: Lights of Guidance: A Bahá’í Reference File, no. 446, S. 133
23 Shoghi Effendi, Brief vom 12. August 1941, in: Krise und Sieg, S. 57
24 Shoghi Effendi, Brief vom 15. Juni 1946, in: This Decisive Hour: Messages from Shoghi Effendi to the North American Bahá’ís, 1932–1946, no. 158, par. 22
25 Shoghi Effendi, Brief vom 3. November 1948, in: Citadel of Faith: Messages to America, 1947–1957 (Wilmette: Bahá’í Publishing Trust, 1965, 1999 printing), S. 58
26 Shoghi Effendi, Brief in seinem Auftrag vom 9. April 1949 an einen Nationalen Geistigen Rat, in: Unfolding Destiny (London: Bahá’í Publishing Trust, 1981), p. 225
27 Shoghi Effendi, Brief in seinem Auftrag vom 2. Februar 1956 an einen einzelnen Gläubigen, in: Über das Lehren. Aus den Schriften Bahá’u’lláhs, ʻAbdu’l-Bahás und Shoghi Effendis, Hofheim-Langenhain: Bahá’í-Verlag 1979
28 Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Botschaft vom 10. Februar 1980 an die in anderen Ländern der Welt lebenden iranischen Freunde
29 Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Botschaft vom 3. November 1980 an die Bahá’í der Welt
30 Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Riḍván-Botschaft 153 (1996) an die Bahá’í der Welt
31 Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Riḍván-Botschaft 2016 an die Bahá’í der Welt
32 Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Riḍván-Botschaft 2017 an die Bahá’í der Welt
33 Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Naw-Rúz 177 (2020) Botschaft an die Bahá’í der Welt
34 Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Riḍván-Botschaft 2020 an die Bahá’í der Welt
35 Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Botschaft vom 9. Mai 2020 an alle Nationalen Geistigen Räte
Gibt es ein Leben nach dem Tod?
Religionen werden oft als Mittel gesehen, um Fragen darüber zu beantworten, was passiert, nachdem wir verstorben sind. Wird es nach dem letzten Atemzug unseres Körpers keine absolute Existenz mehr geben? Gibt es überhaupt ein Leben nach dem Tod? Und wenn ja: werden wir uns an unser Leben auf dieser Erde erinnern? Kommen wir wirklich in den Himmel oder in die Hölle?
Um das Konzept des Lebens nach dem Tod besser zu verstehen, kann es hilfreich sein, zunächst die Realität der menschlichen Seele zu betrachten.
Bahá’u’lláh lehrt, dass die Seele unsterblich ist. Sie befindet sich auf einer ewigen Reise durch die Welten Gottes. Im Augenblick der Zeugung erscheint die Seele im Ungeborenen und erhält so ihre Individualität.
Die Seele hat ihren Ursprung in den geistigen Welten Gottes. Sie ist erhaben über die Materie und die physische Welt. Seele und Körper stehen in einem besonderen Verhältnis zueinander. Die Beziehung der Seele zum Körper ist ähnlich wie jene des Lichts der Sonne zu einem Spiegel, welcher das Sonnenlicht reflektiert. Das Licht, welches im Spiegel erscheint, ist nicht in diesem; es kommt von einer Quelle außerhalb. Ebenso ist die Seele nicht im Körper; es besteht eine besondere Beziehung zwischen ihr und dem Körper, und zusammen bilden sie einen Menschen.
Bahá’u’lláh sagt uns im Buch 'Ährenlese':
»Wahrlich, Ich sage, die menschliche Seele ist über allen Austritt und alle Rückkehr erhaben. Sie ist in Ruhe und doch schwingt sie sich auf; sie schreitet fort, und doch ist sie in Ruhe. Sie ist in sich selbst Beweis für das Dasein einer bedingten Welt wie auch für die Wirklichkeit einer Welt, die weder Anfang noch Ende hat. Siehe, wie dein Traum nach vielen Jahren vor deinen Augen wieder abrollt. Bedenke, wie seltsam das Geheimnis der Welt ist, die dir im Traum erscheint. Bewege die unerforschliche Weisheit Gottes in deinem Herzen und versenke dich in ihre mannigfaltigen Offenbarungen...«
Die Seele ein Spiegelbild der Attribute Gottes
Ein "Zeichen Gottes" zu sein, kann also bedeuten, dass die Seele ein Spiegelbild der Attribute Gottes und damit ein Ausdruck Seiner Existenz ist. Deshalb sind die Attribute unserer Seele, wie Liebe, Geduld und Vergebung, Zeichen Gottes.
Wenn wir die Existenz der Seele betrachten, beginnen wir zu erkennen, dass das Leben nicht nur als Veränderungen und Chancen gesehen werden kann, welche wir erfahren, wenn wir diese materielle Ebene durchlaufen. Wir verstehen, dass diese Welt nur eine von vielen ist und dass die Seele diejenige Form ist, durch welche das Leben weitergeht, nachdem unser materieller Körper entschwindet.
Im Buch 'Ährenlese' lesen wir dazu die Antwort Bahá’u’lláhs:
»Nun zu deiner Frage über die Seele des Menschen und ihr Fortleben nach dem Tode. Wisse wahrlich, dass die Seele nach ihrer Trennung vom Leibe weiter fortschreitet, bis sie die Gegenwart Gottes erreicht, in einem Zustand und einer Beschaffenheit, die weder der Lauf der Zeiten und Jahrhunderte noch der Wechsel und Wandel dieser Welt ändern können. Sie wird so lange bestehen, wie das Reich Gottes, Seine Allgewalt, Seine Herrschaft und Macht bestehen werden.«
Ein relevanter Punkt aus diesem letzten Zitat ist die Vorstellung, dass sich die Seele immer weiter in Richtung ihres Schöpfers bewegen wird. Wir können uns dann das Leben als das Besteigen eines Berges vorstellen. Jeder Schritt auf dem Weg hilft uns, unsere Muskeln zu entwickeln und uns gleichzeitig der Spitze einen Schritt näher zu bringen. Schon der bloße Akt, ein Attribut Gottes auszudrücken, indem wir wie Er sind, bringt uns Ihm näher.
Die Idee der Bewegung zu Gott ist wichtig zu verstehen, da sie die Sichtweise der Bahá'í in Bezug auf zwei Konzepte vermittelt, die allgemein mit dem Jenseits verbunden sind - „Himmel" und „Hölle". Diese werden nicht als tatsächliche physische Räume angesehen, in die sich Menschen begeben, aber wenn man bedenkt, dass der Sinn des Lebens darin besteht, Gott näher zu kommen - und näher zu kommen bedeutet, dass wir uns mehr an göttlichen Attributen orientieren -, ist der Himmel derjenige Zustand, in dem ein Mensch seine Vollkommenheit entwickelt hat und dann Gott nahe ist. Und die Hölle ist der Zustand, dem diese göttlichen Potenziale fehlen, was zu einer Abgeschiedenheit von Gott führt. Wenn wir uns also fragen, wo das Paradies und die Hölle sein sollen, kann die Antwort so einfach sein, wie sie Bahá’u’lláh äußerte:
»Sie fragen: "Wo ist das Paradies und wo die Hölle?" Sprich: "Das eine ist die Vereinigung mit Mir, das andere dein eigenes Selbst…«
‘Abdu’l-Bahá führt im Buch 'Beantwortete Fragen' weiter aus:
»Die Verschiedenheit der Art und der Stufe wird bei allen Menschen naturgemäß wahrgenommen, wenn sie aus dieser sterblichen Welt gegangen sind. Sie bezieht sich jedoch nicht auf den Raum, sondern auf die Seele und ihr Bewusstsein. Das Königreich Gottes ist über Raum und Zeit geheiligt; es ist eine andere Welt und ein anderes Weltall.«
»Die Belohnungen der anderen Welt sind Friede, geistige Tugenden, verschiedene geistige Gaben im Reiche Gottes, Erfüllung der Wünsche von Herz und Seele und Begegnung mit Gott in der Welt der Ewigkeit. In gleicher Weise bestehen die Strafen der anderen Welt, das heißt ihre Qualen, im Beraubtsein der besonderen göttlichen Segnungen und vollkommenen Gnadengaben und im Herabsinken auf die niedrigste Stufe des Seins. Jeder, der von diesen göttlichen Gunstbezeigungen ausgeschlossen ist, wird, obwohl er nach dem Tode weiterbesteht, vom Volk der Wahrheit als tot angesehen.«
In ähnlicher Weise besteht der Zweck des Lebens eines Embryos in der Welt der Materie darin, die für das Leben in dieser materiellen Welt erforderlichen Organe zu entwickeln, den Zweck unseres Lebens in dieser Welt, die geistigen Fähigkeiten zu entwickeln, die wir im nächsten Leben benötigen.
Der Tod ist dann eine Zustandsänderung in diesem Prozess der Bewegung der Seele zu Gott. Sie/Er beginnt, während der Mensch in embryonaler Form existiert, geht weiter durch unser materielles Leben und setzt sich nach dem Tod unseres Körpers fort.
Bei ‘Abdu’l-Bahá lesen wir im Buch 'Beantwortete Fragen':
»Anzunehmen, dass der Geist nach dem Tod des Körpers zugrunde gehe, ist wie die Vorstellung, daß ein Vogel in einem Käfig umkäme, wenn der Käfig zerbrochen wird, obwohl ja der Vogel von der Zerstörung des Käfigs nichts zu fürchten hat. Unser Körper ist dem Käfig und der Geist dem Vogel zu vergleichen. Wir sehen, dass ohne den Käfig dieser Vogel in der Welt des Schlafes fliegt; wenn daher der Käfig zerbricht, wird der Vogel unversehrt weiterleben; seine Empfindungen werden sogar tiefer, seine Wahrnehmungen weiter und sein Glück größer sein.«
Und während wir diese Reise fortsetzen, werden die Erfahrungen und das Leben, das wir in dieser irdischen Ebene haben, nicht vergessen:
Seelen erkennen einander wieder: lesen wir im Buch '... und zu Ihm kehren wir zurück':
»Zur Frage, ob die Seelen einander in der geistigen Welt wiedererkennen: Dies ist gewiss, denn das Gottesreich ist die Welt der Schau, wo alle verborgenen Wirklichkeiten erschlossen werden. Die Geheimnisse, die der Mensch in dieser irdischen Welt nicht beachtet, wird er in der himmlischen Welt entdecken, und dort wird ihm das Geheimnis der Wahrheit kund. Wieviel mehr noch wird er Personen, mit denen er zusammengewesen ist, wiedererkennen oder entdecken! Ohne Zweifel werden die heiligen Seelen, die zu reinem Schauen gelangen und mit Einblick begnadet sind, im Königreich des Lichts mit allen Geheimnissen vertraut, und sie werden nach der Gabe trachten, die Wirklichkeit jeder großen Seele zu bezeugen. Ja, sie werden die Schönheit Gottes in jener Welt deutlich schauen. Ebenso werden sie alle Freunde Gottes aus alten und jüngsten Zeiten in der himmlischen Versammlung vorfinden ...«
Bei der Erforschung der Natur unserer Seelen ist es vielleicht wichtig, sich daran zu erinnern, dass unser Verständnis von diesem "Geheimnis" immer unzureichend sein wird, Bahá’u’lláh schreibt im Buch 'Ährenlese':
»Die Geheimnisse des körperlichen Todes des Menschen und seiner Rückkehr sind nicht enthüllt und bleiben weiterhin ungedeutet.«
Und:
»Du hast Mich nach dem Wesen der Seele gefragt. Wisse wahrlich, dass die Seele ein Zeichen Gottes ist, ein himmlischer Edelstein, dessen Wirklichkeit die gelehrtesten Menschen nicht zu begreifen vermögen, und dessen Geheimnis kein noch so scharfer Verstand je zu enträtseln hoffen kann.«
Zur Bedeutung des Todes sagt Bahá’u’lláh im Buch 'Ährenlese':
»Der Tod bietet jedem vertrauenden Gläubigen den Kelch dar, der in Wahrheit Leben ist. Er schenkt Freude und ist ein Bote des Frohsinns. Er verleiht die Gabe ewigen Lebens.«
»Den Tod machte Ich dir zum Boten der Freude. Warum bist du traurig?«
»Du bist Mein Licht und Mein Licht verlöscht nie. Warum fürchtest du dein Verlöschen?«
Wollen wir uns zum Abschluss folgende Allegorie ‘Abdu’l-Bahás aus dem Buch 'Ansprachen in Paris' anschauen?
»Wenn ihr ein Spiegelglas zerbrecht, auf das die Sonne schien, so ist das Glas zerbrochen, die Sonne aber scheint noch immer. Wenn ein Käfig, in dem ein Vogel ist, zerstört wird, bleibt der Vogel unverletzt…. Das gleiche gilt für die Seele des Menschen. Wenn auch der Tod seinen Körper zerstört, so hat er doch keine Macht über seine Seele, die ewig, dauernd und frei von Geburt und Tod ist.«
Eine Bahá'í-Sicht auf die Evolution
Verschiedene populärwissenschaftliche Bücher[1] und Zeitschriftenartikel[2] verbreiten die Botschaft, die heutige Wissenschaft könne die Evolution des Lebens auf Erden quasi aus dem Nichts erklären. Darwin ersetzt in seiner Evolutionstheorie die freie Schöpferkraft Gottes durch die uneingeschränkte Kreativität der natürlichen Auslese. Gottes alles durchdringende Kraft weicht der Allmacht der Selektion[3]. Damit wird Gott als Schöpfer überflüssig[4]. Der Mensch gilt als das Produkt von Zufall und Notwendigkeit[5], als eine monströse Anhäufung von Zufällen, als ein vorläufiger Überlebender im Kampf der Tüchtigsten. Gegen diese Meinung laufen Kreationisten in den Vereinigten Staaten Sturm. Sie glauben, dass die Entstehung der Welt mehr oder weniger wörtlich der Schöpfungsgeschichte der Bibel gefolgt ist. Diese Sicht teilen etwa 47% der US-Amerikaner[6]. Es ist das erklärte Ziel verschiedener christlich-fundamentalistischer Gruppen in den Vereinigten Staaten, die Schöpfungsgeschichte im Rahmen des Biologieunterrichts behandeln zu lassen[7]. Gibt es wirklich nur diese beiden konträren Alternativen? Muss ich als religiöser Mensch die Erkenntnisse der modernen Biologie über die Evolution des Lebens auf der Erde ignorieren, um an Gott, an einen Schöpfer dieses Universums glauben zu können?
Eines der zentralen Prinzipien des jungen Bahá'í-Glaubens ist die Einheit von Religion und Wissenschaft. Bahá'u'lláh, ihr Stifter, und Sein Sohn `Abdu'l-Bahá haben zu den Themen Schöpfung, Kosmologie und Evolution ausführlich Stellung genommen.[8] Demnach erschuf Gott zuerst Seinen Willen, Seinen Befehl. Dieser formte anschließend die Welt, wie wir sie kennen: "Wahrlich, Gott schuf den Willen aus sich selbst heraus, dann schuf Er durch ihn alles, auf das der Begriff ‚Ding‘ anwendbar ist."[9]
Freiheit ist in diesem Universum nur durch den ausdrücklichen göttlichen Befehl eingeschränkt: "Die Natur ist Gottes Wille, dessen Ausdruck in der bedingten Welt und durch diese. Sie ist Teil des Waltens der Vorsehung, verordnet von dem Verordner, dem Allweisen"[10].
Als Grundmotiv für die Schöpfung nennt Bahá'u'lláh Liebe: "Ich liebte es, dich zu erschaffen, also erschuf ich dich"[11] und den Wunsch Gottes, erkannt zu werden: "Nachdem Er die Welt und alles, was darin lebt und webt, erschaffen hatte, wünschte Er durch das unmittelbare Wirken Seines unumschränkten, höchsten Willens, dem Menschen die einzigartige Auszeichnung und Fähigkeit zu verleihen, Ihn zu erkennen und zu lieben - eine Fähigkeit, die notwendigerweise als der gesamten Schöpfung zugrunde liegender schöpferischer Antrieb und Hauptzweck anzusehen ist."[12]
Nach den Bahá'í-Schriften bedeutet Schöpfung Möglichkeiten schaffen, die sich im Laufe der Zeit realisieren. Die Welt erhält die Fähigkeit, die Eigenschaften Gottes widerzuspiegeln. Da Gott auch die Zeit erschuf, existiert dieses Potenzial ewig, es bestand also bereits vor dem Urknall.
In Gesprächen und Briefen nimmt 'Abdu'l-Bahá ausführlich zum Thema Evolution Stellung. Sowohl das Universum als Ganzes, das Leben auf der Erde, als auch die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft sind das Ergebnis von Evolutionsprozessen. Unser Universum "erreichte Verwirklichung und vollkommenes Dasein erst nach einer sehr langen Zeit.[13] ... Nach und nach erscheinen die verschiedenen Lebensformen: ... die Pflanze, später das Tier und schließlich der Mensch."[14] 'Abdu'l-Bahá vergleicht die Entstehung der Welt und des Leben mit der Entwicklung eines Samens oder des menschlichen Embryos: "Ebenso war der Same dieser Blume hier im Anfang ein unbedeutendes, winziges Ding; er wuchs und entwickelte sich im Schoß der Erde und durchwanderte verschiedene Phasen, bis er als diese Blume in vollkommener Frische und Lieblichkeit in Erscheinung trat. Genauso ist es offenkundig, dass diese Erdkugel, nachdem sie einmal ins Dasein getreten war, im Schoß des Weltalls wuchs und sich entwickelte und in verschiedenen Phasen und Formen erschien, bis sie allmählich ihre heutige Vollkommenheit erlangte, mit zahllosen Geschöpfen geschmückt wurde und als fertiges Gefüge in Erscheinung trat."[15] Damit vertritt 'Abdu'l-Bahá eine biologisch-dynamische Entwicklung dieser Welt. Evolution ist in diesem Bild also weder beliebig oder zufällig, noch folgt sie, gleich einem Uhrwerk, einem strikten, fest gefügten Plan. Der genetische Plan bestimmt die Möglichkeiten eines Organismus, sein Potenzial. Die Einzelheiten seiner Entwicklung stehen damit allerdings nicht fest. Ganz analog liegen der Schöpfung eine Fülle von Möglichkeiten zugrunde, die Evolution entwickelt sich frei und kreativ im Rahmen dieses Potenzials. Eine Gott gegebene Natur formt, vergleichbar einem Künstler, die unbeschränkten Möglichkeiten dieses Universums zum Ebenbilde Gottes, als Ausdruck Seines Willens.
Die Evolution der menschlichen Gesellschaft gehört zu den zentralen Themen der Bahá'í-Theologie: "Alle Menschen wurden erschaffen, eine ständig fortschreitende Kultur voran zu tragen."[16]
Die wichtigste Triebkraft für diese Entwicklung ist das Wort Gottes, das immer wieder von Gottes Boten vermittelt wird und der Menschheit neue Dimensionen öffnet: "Der allwissende Arzt legt Seinen Finger an den Puls der Menschheit. Er erkennt die Krankheit und verschreibt in Seiner unfehlbaren Weisheit das Heilmittel, jede Zeit hat ihr eigenes Problem, jede Seele ihre besondere Sehnsucht."[17]
Die Menschheit hat sich durch verschiedene Stadien hindurch entwickelt, um heute eine globale Gesellschaft aufzubauen, um das "Himmelreich" auf Erden zu errichten.
Bahá'u'lláhs Weltordnung "... stellt die Vollendung der menschlichen Entwicklung dar, einer Entwicklung, die ihren Uranfang in der Geburt des Familienlebens hat, deren weitere Entfaltung zur Stammeseinheit und zur Bildung des Stadtstaates führte, und die sich später zur Bildung unabhängiger, souveräner Nationen erweiterte. Das Prinzip der Einheit der Menschheit, wie Bahá'u'lláh es verkündet, bringt nicht mehr und nicht weniger als die heilige Versicherung mit sich, dass der Durchbruch zu dieser letzten Stufe einer unendlich langen Entwicklung nicht nur notwendig, sondern unumgänglich ist, dass sich seine Verwirklichung rasch nähert und dass nichts außer einer Kraft, die aus Gott geboren ist, ihn erfolgreich herbeiführen kann."[18]
Jeder einzelne Mensch hat die Aufgabe, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten zu entwickeln: "Betrachte den Menschen als ein Bergwerk, reich an Edelsteinen von unschätzbarem Wert. Nur die Erziehung kann bewirken, dass es seine Schätze enthüllt und die Menschheit daraus Nutzen zu ziehen vermag"[19]. Der Mensch kann seine positive, oder auch seine böse Seite hervorheben: "Der Mensch steht auf der höchsten Stufe der Materie und am Anfang der Geistigkeit... Er hat die tierische Seite so gut wie die engelgleiche Seite; und das Ziel eines Erziehers ist, die menschlichen Seelen so zu bilden, dass ihre engelhafte Seite ihre tierische überwinden kann."[20]
Der Mensch wird nicht durch sein Sein, sondern durch seine gottgegebenen Möglichkeiten, sein Potenzial definiert: Der Mensch ist fähig, sich zur Krone der Schöpfung zu erheben.[21]
Die Stufe des Menschen wird von seinem Bemühen geprägt, seine Möglichkeiten zu entfalten und so Gott näher zu kommen. Wer dagegen den Menschen durch sein biologisches Erbe definieren will, ist wie jemand, der nicht erwachsen werden will, weil seine Wurzeln in der Kindheit liegen.
Aber lässt sich diese Vorstellung durch Erfahrung stützen, dass die komplexe biologische Ordnung potenziell von Anfang an besteht? War also ein "... Brüllaffe potenziell seit dem Anfang der Welt da"?[22] 'Abdu'l-Bahá selbst steuerte in Gesprächen verschiedene Argumente zur Stützung Seiner These bei. Nach Darwin ist es die natürliche Auslese, die neue biologische Ordnung schafft.[23] Als Voraussetzung für die Kreativität der natürlichen Auslese nennt Darwin, dass die Variabilität der Kinder im Vergleich zu ihren Eltern nicht wesentlich durch Bedingungen eingeschränkt wird, die nicht durch die Selektion bestimmt werden[24]. 'Abdu'l-Bahá zeigt in einem einfachen Gedankenexperiment, dass Darwins Forderung nach gleichmäßiger Variabilität nicht gegeben ist. Beliebige Mischungen der chemischen Elemente, aus denen ein Organismus zusammengesetzt ist, erzeugen keine neuen, lebensfähigen Organismen: "Daher ist es klar, dass es die Schöpfung Gottes ist und nicht eine zufällige Zusammensetzung und Anordnung. Darum kann von jeder natürlichen Zusammensetzung ein Geschöpf ins Dasein treten, aus einer zufälligen Vermischung aber nicht."[25] Selbst kleine Abweichungen von den natürlichen, atomaren Anordnungen in einem Lebewesen führen im Allgemeinen zum Tod[26]. Nur wenn die Maurer den Plänen des Architekten folgen, entsteht ein bewohnbares Haus. Beliebige Anordnungen von Steinen schaffen keine gemütliche Wohnung. Damit widerlegt 'Abdu'l-Bahá die Idee, dass Ordnung durch Änderungen der bestehenden neu entstehen kann.
Wenn aber natürliche Auslese die komplexe biologische Ordnung nicht erzeugt, woher kommt sie dann? Vielleicht besteht die Ordnung bereits implizit, vielleicht sind komplexe Strukturen eine emergente Eigenschaft der Natur? Damit wird das Problem allerdings lediglich verschoben. Aber gibt es denn Hinweise, dass dies der Fall sein könnte? Eine einfache Wachskerze brennt unter bestimmten Bedingungen. Wir wissen aus der Geschichte, dass vor 1000 Jahren bereits derartige Kerzen verwendet wurden, also auch damals brannten. Unter geeigneten Bedingungen hätten sie sicher auch vor einer Million oder einer Milliarde von Jahren gebrannt. "Wenn zum Beispiel in hunderttausend Jahren Öl, Feuer, ein Docht, eine Lampe und jemand, der sie anzündet, kurz alles, was man jetzt braucht, zur Hand ist, wird diese Lampe genauso brennen."[27] Aus der Analyse des Lichtes entfernter Sterne weiß man, dass die Eigenschaften der chemischen Elemente sich über kosmologische Zeiträume praktisch nicht geändert haben. Mit anderen Worten, es wäre eine wissenschaftliche Sensation, wenn man feststellen würde, dass vor hunderttausend Jahren Kerzen nicht gebrannt hätten.
Im Vergleich zu den biochemischen Prozessen innerhalb von Organismen ist die Chemie beim Abbrennen einer Kerze relativ einfach. Kann man also diese Überlegung einfach auf Lebewesen übertragen? Die Funktionsweise der Zellen beruht auf der Biochemie der chemischen Elemente, wie die Funktion von Computern von den physikalischen Gesetzen seiner Hardware bestimmt wird. Da sich auch die Biochemie in den letzten Milliarden Jahren voraussichtlich nicht geändert hat, kann man davon ausgehen, dass unter geeigneten Bedingungen die heutigen Arten auch vor vielen Millionen Jahren lebensfähig gewesen wären: "Da die Vollkommenheit des Menschen völlig auf die Zusammensetzung der Atome der Elemente, auf ihr Verhältnis, auf die Art ihrer Verbindung und auf die gegenseitige Beeinflussung und Einwirkung der verschiedenen Seinsformen zurückzuführen ist und weil der Mensch vor zehn- oder hunderttausend Jahren aus diesen irdischen Elementen in demselben Verhältnis und der gleichen Ausgewogenheit, nach derselben Methode der Verbindung und Vermischung und unter der gleichen Einwirkung der Umwelt geschaffen wurde, lebte genau derselbe Mensch damals wie heute. Dies ist offensichtlich und keiner weiteren Erörterung wert. In tausend Millionen Jahren wird genau derselbe Mensch leben, wenn seine Elemente zusammengebracht und in diesem besonderen Verhältnis geordnet werden, wenn die Elemente auf dieselbe Art verbunden werden und wenn sie durch die gleiche Einwirkung der Umwelt beeinflusst werden."[28] Wenn diese Überlegung aber stimmt, dann wird die komplexe biologische Ordnung nicht von der natürlichen Auslese erschaffen, sondern in einer praktisch unbeschränkten Fülle von Möglichkeiten gefunden. Zunächst potenzielle Ordnung wird in tatsächliche umgewandelt. Dieses zweite Argument von 'Abdu'l-Bahá verwendet das Prinzip, dass nur solche Phänomene wissenschaftlich analysiert werden können, die sich zumindest im Prinzip immer und überall wiederholen lassen.
Aber ist die darwinsche Evolutionstheorie nicht viel zu gut experimentell bestätigt, als dass man sie durch ein paar einfache Argumente widerlegen könnte? Neben streng wissenschaftlichen Komponenten, die sich empirisch gut bewährt haben, gibt es in Darwins Evolutionstheorie auch mehr naturphilosophische Aspekte[29]. Die Gültigkeit der durch Tatsachen belegten wissenschaftlichen Aspekte dieser Theorie wird ohne weitere Prüfung auf ungetestete philosophische Gedanken übertragen. Wie ließe sich zum Beispiel die Kreativität, die Allmacht der natürlichen Auslese durch Fakten stützen? Wenn die natürliche Auslese wirklich neue Ordnung schafft, bedeutet das, dass die Wirkung einer bestimmten Mutation zu einem bestimmten Zeitpunkt geschaffen wurde. Vor diesem Zeitpunkt hätte die selbe Mutation eine andere Wirkung gehabt, als danach.[30]
Andernfalls gilt 'Abdu'l-Bahás Argument, dass vor einer Milliarde Jahre derselbe Mensch gelebt hätte wie heute. Mit anderen Worten, die Bahá'í-Schriften kritisieren nicht die Evolutionstheorie als solche, sondern lediglich gewisse empirisch unbestätigte naturphilosophische Aspekte.
Die Bahá'í-Schöpfungsmythologie dreht sich zuallererst um den freien, uneingeschränkten, kreativen Willen Gottes, der die gesamte Schöpfung gebiert. Diese Welt ist im innersten Wesen als Abbild Gottes komplex und drängt danach, die Eigenschaften Gottes immer vollkommener widerzuspiegeln. Dabei schöpft sie in einem organisch dynamischen Prozess aus der Fülle der Möglichkeiten, den Willen Gottes auszudrücken.
Das Paradigma der Evolution durchzieht in den Bahá’í-Schriften alle Seinsebenen: das Universum als ganzes, das Leben auf der Erde, die menschliche Gesellschaft und sie zeigt sich in der Entwicklung jedes Einzelnen.
Die edle Natur des Menschen beruht auf seinen Anlagen und Fähigkeiten, und nicht auf seiner biologischen Herkunft. Durch seine Gesinnung und sein Handeln kann er sich der Stufe als Krone der Schöpfung würdig erweisen.
[1] zum Beispiel Richard Dawkins, Der blinde Uhrmacher, DV München, 1996
[2] zum Beispiel Spiegel 2005 (52), 136-141, Spektrum der Wissenschaften 2000 (9), 62-67
[3] A. Weismann, Comtemp. Rev. 1893 (64) 309-338
[4] Peter Atkins, Schöfpung ohne Schöpfer, Rohwohl, Hamburg 1984
[5] Jaques Monod, Zufall und Notwendigkeit, DTV München, 1975
[6] zitiert in Chet Raymo, Skeptics and True Believers, Warner, New York, 1998, S. 122
[7] Spiegel, ibid.
[8] siehe auch: Keven Brown, Evolution & Bahá'í Belief, Kalimát, Los Angeles, 20001 und Eberhard von Kitzing, Evolution oder Schöpfung - zwei sich ausschließende Konzepte? S. 179 ff in 'Irfán-Studien zum Bahá'í-Schrifttum, Bahá'í-Verlag, Hofheim, 2004
[9] The Báb Amr va Khalq, Band 1, S. 100, nicht überprüfte Übersetzung von Keven Brown: "God, verily, created the Will from nothing through itself, then He created through it all that to which the name 'thing' can be applied."
[10] Bahá'u'lláh, Botschaften aus Akká, Bahá'í-Verlag, Hofheim, 1982
[11] Bahá'u'lláh, Verborgene Worte, arabisch 4, Bahá'í-Verlag, Hofheim, 2003
[12] Bahá'u'lláh, Ährenlese, 27:2, Bahá'í-Verlag, Hofheim, 2003
[13] 'Abdu'l-Bahá, Beantwortete Fragen, 47:3, Bahá'í-Verlag, Hofheim, 1998
[14] 'Abdu'l-Bahá, Beantwortete Fragen, 51:6
[15] 'Abdu'l-Bahá, Beantwortete Fragen, 47:5
[16] Bahá'u'lláh, Ährenlese, 109:2
[17] Bahá'u'lláh, Ährenlese, 106:1
[18] Shoghi Effendi, Weltordnung Bahá'u'lláhs, S. 71, Bahá'í-Verlag, Hofheim, 1977
[19] Bahá'u'lláh, Ährenlese, 122:1
[20] 'Abdu'l-Bahá, Beantwortete Fragen, 64:2
[21] Udo Schaefer, Was ist der Mensch?, Bahá'í-Verlag, Hofheim, 2003
[22] Carl von Weizsäcker, "Die Geschichte der Natur", Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen, 1992, S. 92
[23] Aber was versteht man genau unter natürlicher Auslese? Sie besteht aus zwei Schritten. Mutation und Rekombination schaffen eine Vielzahl von Varianten. Es werden immer mehr Nachkommen gezeugt, als die Umwelt ernähren kann. Das Überleben des Tüchtigsten stellt anschließend sicher, dass vor Allem die erfolgreichen Gene überleben (Ernst Mayr, Entwicklung der biologischen Gedankenwelt, Berlin 2002; Richard Dawkins, Der blinde Uhrmacher)
[24] eine sorgfältige Analyse der Voraussetzungen der darwinschen Theorie siehe Stephen Gould, The Structure Evolutionary Theory, Harward University Press, Cambridge 2002
[25] 'Abdu'l-Bahá, Beantwortete Fragen 47:4
[26] So überlebt ein Hamster nicht lange in einer Mikrowelle.
[27] 'Abdu'l-Bahá, Beantwortete Fragen 46:5
[28] 'Abdu'l-Bahá, Beantwortete Fragen, 46:5
[29] Ernst Mayr, Spektrum der Wissenschaften 2000 (9), 62-67, betont Darwins naturphilosophische Beiträge
[30] Denn wenn die natürliche Auslese die Wirkung bestimmter Mutationen nicht ändert, ist sie nicht schöpferisch, sondern finderisch.
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